Süddeutsche Zeitung: „Der alte Mann und das Meer“


Bericht vom 15.04.06 in der Süddeutschen Zeitung unter der Rubrik „Mobiles Leben“
Das olympische Jahr 1936 hatte gerade begonnen; nun sollten auch eben jene Sportsbereiche, die – wie der Hochseesegelsport – zunächst nicht in der Prioritätenliste der nationalsozialistischen Sportsfunktionäre ganz oben lagen, gefördert werden.
Die seinerzeit noch junge „Segelkameradschaft Wappen von Bremen“ setzte sich, schließlich erfolgreich, für den Bau einer neuen Ozeanyacht ein – das Schiff sollte bei der Bremer Burmesterwerft entstehen und von dem gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrten Flensburger Konstrukteur Heinrich Gruber entworfen werden. Er hatte in Amerika beim Entwurf der America´s-Cup-Yachten Rainbow und Enterprise mitgewirkt und gilt noch bis heute als einer der erfolgreichsten Yachtkonstrukteure dieser Zeit. Am kommenden Donnerstag nun feiert der Traditions–Segler Roland von Bremen seinen 70. Geburtstag.Das neue Schiff sollte an der internationalen Transatlantik-Regatta Bermuda-Cuxhaven teilnehmen, die Hoffnung lautete Sieg. Viel Zeit allerdings war zum Jahresbeginn 1936 nicht mehr, der Start der Transatlantik-Regatta auf dem Bermudas war auf den 4. Juli festgelegt. 

Vor allem musste erst die stolze Summe von 60 000 Reichsmark beschafft werden, was seinerzeit immerhin annährend 34 durchschnittlichen Jahreslöhnen entsprach. Am 9. Januar 1936 wurden deshalb die Vorstände der 90 angesehensten bremischen Firmen ins Rathaus eingeladen und in einer für die damalige Zeit typischen „zündenden“ Ansprache zu Spenden aufgerufen. Die Leiter der verschiedenen Wirtschaftsgruppen wurden sodann im offenen Aufruf um Zustimmung zu einem bereits vorbereiteten Verteilungsplan der Beiträge gebeten. Diese Parforce-Methode funktionierte perfekt und schon im Februar war Kiellegung, knapp zwei Monate später dann, am 20. April 1936, wurde der Stapellauf gefeiert; festlich geschmückt glitt der Rumpf des 18,28 Meter langen Langkielers ins Wasser. Der Roland von Bremen, als Yawl getakelt, ging schließlich im Mai an Bord des Dampfers Anhalt auf die Reise über den Atlantik.

Die erste Regatta von Newport von Bermuda war eine harte Feuertaufe. Von 50 Yachten erreichten nur wenige unbeschädigt das Ziel, darunter auch der Roland von Bremen. Als dann das Transatlantik-Rennen gestartet wurde, hatten mehrere amerikanische und britische Yachten ihre Meldung zurückgezogen, sodass am 4. Juli 1936 nur sieben deutsche, eine polnische und eine holländische Yacht am Start waren. Gemunkelt wird bis heute, dass das in Wahrheit ein Boykott gegen diese Regatta um den „Ehrenpreis des Führers“ war.

Die Mannschaft unter Skipper Franz Perlia ersegelte sich in einem schweren Sturm mit Windstärke elf den entscheidenden Vorsprung und ging nach 21 Tagen und drei Stunden als erste über die Ziellinie vor Cuxhaven – 33 Stunden vor dem Zweitplatzierten. Es mag ein glücklicher Umstand gewesen sein, dass der Amerikaner Sherman Hoyt mit an Bord des Roland war – ein sehr erfahrener Hochsee-Regattasegler, der den Atlantik bereits sechs Mal überquert hatte. In seine Tagebuchnotizen ist er des Lobes voll für die Yacht und ihre Segeleigenschaften, kritisiert aber herb die Qualität des Essens („unbellevably poor“) und die Besessenheit der Mannschaft, ja nicht vom Großkreiskurs abzuweichen – egal, ob beim aktuellen Wind eine leichte Kursabweichung wesentlich mehr Fahrt gebracht hätte.
Nach diesem glanzvollen Auftakt wird das Schicksal des Roland von Bremen dann allerdings wechselhaft und turbulent. Schon 1938 verkaufte die Segelkameradschaft die Yacht; der neue Eigner war der Berliner Berson, der als Jude in die USA hatte emigrieren müssen. Die Yacht sollte in New York übergeben werden und dann Condor heißen; Hans von Lottner, bei der Antlantik-Regatta 1936 als Navigator an Bord, war der Skipper dieser erneuten Atlantiküberquerung.

In den USA segelte die Condor zunächst Regatten an der Ostküste, wurde im zweiten Weltkrieg von der US Navy als Patrouillenboot in Dienst gestellt, nach 1945 über den Panama-Kanal nach Kalifornien überführt und erhielt dort wieder den alten Namen zurück; zwei Mal segelte das Schiff über den Pazifik nach Hawaii. Der neue Eigner, Howard Keck, war ein reicher Ölmagnat und glaubte, dass die Deutschen das Boot ein wenig zu schnell zusammengeschustert und dabei an Material gespart hätten. So ließ er sie 1947 die Yacht in den Wilmington Boat Works in San Pedro vollständig zerlegen und nach dem alten Riss aus besten neuen Material neu aufbauen; sogar ein offener Kamin wurde unter Deck im Salon installiert. Keck soll für das ganze Unterfangen die stolze Summe von 150 000 Dollar aufgebracht haben.

Nach zahlreichen weiteren Eignerwechseln erwirkt 1971 eine deutsche Auswandererfamilie das Schiff; sie will auf abenteuerliche Weise in ihre Heimat zurückkehren. In San Francisco starteten Erwin und Anselma Schröder mit ihren drei Kindern – fünf, acht und zehn Jahre alt – und den Stiefvater Fred. Der Kurs führte wieder an der Pazifikküste entlang nach Süden bis zum Panama-Kanal, dann in die Karibik. Vor der eigentlichen Antlantiküberquerung aber gehen Anselma und die drei Kinder von Bord; Fred und Erwin Schröder nehmen einen dritten, bis heute unbekannten Mistsegler an Bord und treffen zu den Olympischen Spielen1972 in Kiel ein.

Aber noch immer kam das Schiff nicht zur Ruhe. Der Roland von Bremen diente zunächst als Schulschiff, später dann als Charteryacht – während dieser Zeit, mithin vor 15 Jahren, lernten schließlich die heutigen drei Eigner den Roland als Chartergäste kennen; das Trioverliebte sich in das Schiff und kaufte es 2001. Seither wird Winter für Winter detailgetreu an der Wiederherstellung des Originalzustandes gearbeitet, in jedem Sommer geht das Schiff von seinem Heimathafen Möltenort an der Kieler Förde aus auf lange Törns – in diesem Jahr bis hoch zu den Lofoten.
Und so scheint es, als habe der Roland nach nun 70 turbulenten Jahren endlich seine Ruhe gefunden. Und egal ob die Eigner, der jeweilige Skipper oder ein Crewmitglied – alle „Roländer“ fühlen sich als große Familie verbunden in der Liebe zu diesem einmaligen Schiff.
Rudolf A. Steinbrecht