Zeitschrift Yacht: „Die Wege des Herrn“

Hitler-Deutschland harrt der Olympischen Spiele, die die Schrecken der Diktatur maskieren und vermeintliche arische Überlegenheit demonstrieren sollen. Der Finsterling Deutschland muss strahlen vor der Welt – das ist der Auftrag. Jene Jahre triefen vor führerfreundliches Pathos, alles Erdenkliche gerät zu einer großen Inszenierung nach Gusto des Tyrannen. Am 20. April 1936 läuft, in diesem Klima, bei Burmester in Bremen eine Ozean-Kreuzeryacht vom Stapel. Symbolträchtig an Hitlers 47. Geburtstag.
Das Rahmenprogramm der Spiele umfasst eine internationale Atlantik-Regatta, von Bermudas nach Cuxhaven. „Roland von Bremen“ ist einzigartig gebaut worden, damit Deutschland dabei glänzen möge – erschaffen für den Sieg auf See.
Henry Gruber heißt Burmester Konstrukteur. Der Flensburger hat in den frühen dreißiger Jahren bei William Starling Burgess gearbeitet, dem berühmten amerikanischen America´s-Cup-Designer. Schon im Jahr 1935 saß Dr. Franz Perlia von der Segelkameradschaft „Das Wappen von Bremen“ nächtelang mit Gruber zusammen; die beiden tüftelten aus, wie das ideale Boot für diese Regatta beschaffen sein müsste. „Aufgrund der Erwartung, dass die Atlantik-Regatta größtenteils raumschots gesegelt werden würde“, sagt Gruber später, „wurde das Unterwasserschiff, besonders was Schwerpunktslagen anbetrifft, abweichend von meinen bisherigen Daten konstruiert. Das ist auch im Vorschiff durch das völlige Überwasserschiff ersichtlich“.
Ein Hickhack zwischen den beiden ersten Bremer Segelclubs war dem Bau vorausgegangen. Auch die Finanzierung des Vorhabens ist nicht einfach, es müssen schließlich 60 000 Reichsmark beschafft werden, fast 34 Durchschnitts-Jahreslöhne. In einer fast an Nötigung grenzenden Weise werden die Bremer Kaufleute und Industrierepräsentanten zur Kasse gebeten, sodass am 22. Februar 1936 die Kiellegung und keine zwei Monate später bereits der Stapellauf erfolgen kann. Freilich ist die Yacht noch längst nicht in allen Teilen fertig, als der Dampfer „Anhalt“ sie und die alte „Aschanti“ über den Atlantik nach Boston transportiert. Buchstäblich bis zur letzten Minute arbeitet die Mannschaft an dem Schiff.
Dann die Feuertaufe: die Bermuda-Regatta von Newport nach Hamilton auf den Bermudas. Schon am zweiten Tag geraten die 50 Yachten in schweren Sturm. Nur zwölf kommen ohne ernste Schäden im Ziel an. „Roland von Bremen“ schlägt sich tapfer in der wilden See, die vom Golfstrom besonders steil aufgetürmt wird. „Roland“ kommt als erstes deutsches Schiff und achtes in der Gesamtwertung ins Ziel. Die wenigen US-Yachten jedoch, die für das folgende Atlantik-Rennen ihre Teilnahme zugesagt haben, sind so schwer beschädigt, dass sie die Meldung zurückziehen müssen.
So gehen am 4. Juli 1936 nur neun Yachten an den Start des großen Rennens, darunter sieben deutsche. In den ersten Tagen liegen die Boote noch dicht beisammen. Doch dann kommt schwerer Sturm auf. Am 15. Juli berichtet das Schiffstagebuch des Skippers Dr. Franz Perlia: „Glas sack, dass bald der Boden herausfällt… Um 5 Uhr werden die Böen am stärksten… Glas sackt weiter auf 744, hat um 10 Uhr den tiefsten Stand erreicht und beginnt schnell zu steigen. Nun wird´s dicke werden… 12.30 Uhr wird Besan geborgen, um 16 Uhr auch der Sturmklüver… Windstärke 10,11 oder mehr, nicht zu schätzen. Um 18.30 steht eine gewaltige See. Wie die Wellen heranrollen, erkennt man, dass die vordersten Gipfel noch nicht der höchste Teil dieser Berge sind. Nach Luv kaum Ausguck durch die mit Gewalt in die schmerzenden Augen schlagende Gischt. Auch von Lee werden Wassermassen emporgeschleudert,“ Aber: „Das Schiff hebt sich wie eine Ente, nur die brechenden
Kämme stürzen über Deck. Segeln mit 7-9 Strich quer zur See mit 6-6.5 kn. Unglaublich… Keinen Augenblick Sorge um Verbände und Aufbauten.“
In den Sturmtagen hat „Roland von Bremen“ einen Vorsprung von 250 bzw. 300 Seemeilen auf die beiden nächsten Boote („Brema“ und „Aschanti“) errungen. Als am 21.Juli das Feuer von Bishop´s Rock in Sicht kommt, liegt „Brema“ als zweite Yacht 340 Seemeilen zurück. Am 25.Juli 1936 um 20 Uhr übersegelt „Roland“ nach 21 Tagen und drei Stunden das Ziel beim Feuerschiff Elbe. 33 Stunden vor „Brema“ , der Zweiten.
Das Folgejahr verläuft für „Roland von Bremen“ recht unglücklich. In keiner der Regatten von 1937 kann die Yacht einen vorderen Platz belegen, geschweige denn einen Sieg erringen. Zum ersten Mal zeigen sich die Nachteile von Henry Grubers Konzept, eine Yacht speziell für raume Winde zu entwerfen, den wie jeder weiß, kommt der Wind leider oft auch vorlich. Am-Wind-Kurse aber sind nicht „Rolands“ Stärke besonders bei rauher See. Darum wird das Schiff schon 1938 von der Segelkameradschaft wieder verkauft, ein neues Boot soll den Namen übernehmen und das künftige Flaggschiff des Clubs sein.
Käufer ist der ehemalige Berliner Berson, der als Jude in die USA emigrieren musste. Die Übergabe soll in New York erfolgen, weshalb „Roland von Bremen“ unter Hans von Lottner – er nahm als Navigator bereits an der ersten Atlantik-Überquerung teil – nun erneut über den Großen Teich segelt, diesmal von Ost nach West. Auch so kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ist die Besatzung noch internatonal, diesmal segelt der Engländer Kenneth Pattison mit. Von Lottner beschreibt 1938 diese Überquerung (in 26 Tagen von den Scillies bis Nantucket) sehr lebendig in der YACHT, Heft27. Er schließt seinen Bericht wie folgt: „Wir werden niemals wieder, glauben wir alle an Bord, ein so fantastisches Schiff bekommen…es sieht
genauso aus wie beim Verlassen Bremens …Besatzung über alles Lob erhaben.Wenn jeder Ozeansegler nur eine halb so gute Besatzung hat, dann kann er sich freuen.“
Jeder, mit „Roland“ segelte, besonders bei schweren Wetter, weiß, warum er ausnahmsweise keine sie ist: der „Roland“ ist ein starker verlässlicher Kerl.
Und heißt ab jetzt „Condor“. Er bekommt einen Klüverbaum, um mehr Vorsegelfläche tragen zu können. Erzählungen zufolge dient er im Krieg der Coast Guard als Patrouillienboot.1945 wird die Yacht von Paul Liskey aus Miami erworben und nach Florida verlegt, aber er kann sich das Schiff nicht lange leisten. Der Bauunternehmer William Trepte San Diego/Kalifornien – er hat schon einmal Burmesteryacht besessen – will das Schiff für die erste Nachkriegs-Hawaii-Regatter erwerben. Man kommt überein, dass Paul Liskey selbst „Condor“ an die Westküste überführt, eine lange Reise über Key West, Havanna, Grand Cayman, den Panamakanal und entlang der mexikanischen Küste des Pazifiks nach San Diego. Die Yacht ist jetzt bereits mit einer Maschine ausgerüstet, ein Gray-Benzinmotor, der allerdings häufig Probleme macht.
Acapulco und Manzanillo werden angelaufen, damals noch verträumte Küstenstädtchen, in denen sich kaum ein Gringo blicken lässt. Sogar die Beschaffung von Benzin bereitet gelegentlich Schwierigkeiten. Nach zweieinhalb Monaten erreichen die fünf Segler um Liskey am 29.Mai 1946 San Diego.
„Condor“ erhält als erstes den alten Namen „Roland von Bremen“ zurück.Dann wird das ursprüngliche Rigg widerhergestellt.Trotzdem verlaufen die ersten Regatten wenig zufrieden stellend – zu große Am-Wind-Anteile, „Rolands“ einzige Schwäche vermasselt gute Platzierungen.William Trepte sucht sich ein anderes Schiff für das große Hawaii- Rennen.
Der nächste Eigner, Howard Keck, ist ein Ölmagnat und glaubt, dass die Deutschen das Boot ein wenig zu schnell zusammengeschustert und dabei wohl auch am Material gespart hätten. So lässt er 1947 die Yacht in den Wilmington Boat Works im kalifornischen San Pedro vollständig zerlegen und nach dem alten Riss aus bestem Material neu aufbauen. „Roland von Bremen“ erhält unter anderem ein höheres Deckhaus sowie einen offenen Kamin im Salon. Keck soll für das ganze Unterfangen 150 000 Dollar aufgewendet haben. Enorm viel Geld.
Nach diesen Jahren voller Wechsel und Neuerungen folgt nun eine ruhige Zeit. „Roland“ liegt in Newport Beach an der Pier, ein Festangestellter Slipper lebt auf ihm, gesegelt wird aber höchst selten. 1960 erwirbt Herald E. Williams vom San Diego Yacht Club das Schiff. Er hegt Reggata-Ambitionen, denn wieder steht ein Hawaii- Race bevor.
Williams rechnet mit Starkwind, er will die Segelfläche verringern und dadurch eine günstigere Vermessung erreichen. Der Besanmast wird entfernt, und schlimmer – auch die oberen 15 Fuß des Großmasters werden gekappt. So geht „Roland“ im August 1961 als untertakelte Slup ins Rennen: Bei seinem ersten Rennen auf dem Pazifik bleiben die erwarteten Starkwinde jedoch aus, und Williams muss seine Frevel bereuen. Immerhin erreicht „Roland von Bremen“ Honolulu als drittes Boot seiner Klasse und sechstes Boot der gesamten Flotte von 40 Yachten. Mit dem alten Rigg hätte er gesiegt.
Ein Jahr danach ist Herald Williams bankrott. Die Yacht geht über in die Hände von William Greer aus Los Angeles. Er fährt „Roland“ in einigen Regatten in Kalifornien, darunter das Los Angeles Acapulco Race 1968, in dem er als Erster durchs Ziel geht, aber berechnet auf den sechsten Platz zurückfällt. Greer verlegt sich anschließend aufs Fahrtensegeln, lässt den Besanmast wieder riggen, der Großmaster aber bleibt kurz. Der alte Gray-Benzinmotor wird gegen einen General-Motors-2-Takt-Diesel ausgetauscht. Die Maschine hält bis 1994.
Greer entfernt auch das Schott, das bis dahin die Kombüse vollkommen vom Salon, abgetrennt hatte. Dadurch entsteht mehr Raum im Salon, und noch heute kann die Crew erwartungsvoll und durch wundersame Düfte angeregt die Handlungen des Smuts verfolgen. Als Williams Greers Söhne ins College kommen und nur mehr kurze Törns vor Santa Monica möglich sind, beschließt der Eigner, für „Roland von Bremen“ Einen neuen Besitzer zu suchen. Greer kann sich an die Namen der Käufer nicht erinnern: „Ich glaube, weil ich mich nicht erinnern will an den Moment, in dem ich so einen wunderbaren Abschnitt meines Lebens beenden musste.“
Es handelt sich um die Brüder Fred und Erwin Schröder, die nicht mehr Spuren hinterlassen als eine Eintragung im Goldenen Buch von Helgoland. Sie waren 1953 in die USA ausgewandert, haben sich etwas erspart und wollen nun auf „Roland“ in die Heimat zurück. Am 11.April 1971 stechen sie in San Francisco in See, und am 21. August 1972 legen sie in Helgoland als erstem deutschen Hafen an. Eine Zeitung berichtet, dass sie die Welt umsegelt hätten, 310 Tage auf See gewesen seien und 45 Häfen in 15 Ländern angelaufen hätten. Seemannsgarn.
„Roland von Bremen“ steht anschließend lange in Kiel zum Verkauf, bis ihn 1974 die Segelschule Allendorf als Tourenschiff erwirbt. Klaus und Erika Allendorf(heute 78 und 70 Jahre alt) berichten: „Das Schiff war in recht heruntergekommenem Zustand, und wir mussten erst einmal eine große Menge Müll abtransportieren, neue Polster nähen und auch am Boot sehr viel reparieren.“ Überdies legen die Behörden die Yacht an die Kette, weil kein Einfuhrzoll bezahlt worden ist. Es dauert eine ganze Weile, bis endlich geklärt ist dass das Boot als Umzugsgut nicht zollpflichtig war. Der Schwede Sven Wärme, Segellehrer bei Allendorf, übernimmt das Boot bereits ein Jahr später und segelt mit seiner Frau Jutta manchen Törn in die Ostsee, was der YACHT damals schon eine große Geschichte wert war.
1979 kauft Peter Krallmann aus Gelsenkirchen den „Roland“ und ist somit sein zwölfter eigner. Mitten im Winter bei Sturm und Schneegestöber überführt er die Yacht nach Holland ins Ijsselmeer, wo sie bis 1986 in Lemmer liegt und regelmäßig auf Charterfahrt geht. Dann wird „Roland“ nach Kiel zurückverlegt, wegen der vielfältigeren Tourenmöglichkeiten in der Ostsee.
Dort lernte eine Charter-Truppe das Schiff kennen. Und beginnt, sich in „Roland“ zu verlieben. Praktisch jedes Jahr trifft sie sich zu einem Törn auf Ost- oder Nordsee, die längste Reise geht 1998 bis Vigo in Spanien mit vier verschiedenen Mannschaften. Die Chartercrew besegelt England, Schweden, Norwegen, Finnland, Litauen, Polen und ungezählte Male Dänemark. Es ist zunächst nicht mehr als ein gewagter Gedanke: Wie es wohl wäre, den mittlerweile so ans Herz gewachsenen „Roland“ selbst zu besitzen. Im Scherz wird sogar eine Entführung erwogen; „Schiffsverlust vortäuschen und einfach in die Karibik abhauen, mit neuem Namen und anderem Anstrich.“
Die verliebten Jungs – ein Schiffsbauingenieur, ein Anwalt und ein Zoologieprofessor – erhalten 2001 die Chance, „Roland“ legal zu erwerben. Sie legten ihre Ersparnisse zusammen. Es ist knapp, aber es reicht.
Jeden Sommer ist der „Roland“, Heimathafen Möltenort, seither für Monate in Fahrt. Wechselnde Crews fordern ihn auf ausgiebigen Skandinavien-Törns, im nächsten Jahr steht die Rundung Englands auf der Agenda – glanzvolle Reisen allesamt. So gesehen, hat sich für „Roland von Bremen“ in den vergangenen 68 Jahren gar nichts geändert.